Marokko Tetouan Fes Marrakesch Mulai Brahim August 1989

Posted on 14/08/1989 by stsadmin

1989 bin ich per Anhalter nach und durch Marokko gefahren. Ich trampte zunächst in das spanische Algeriras, von wo ich nach Ceuta, eine spanische Enklave in Afrika, übersetzte.
Auf dem Schiff von Spanien nach Afrika bekam ich Panik: Die Araber auf dem Schiff machten mir eine angst.
Auf afrikanischer Seite fuhr ich mit einem Sammeltaxi, einer  großen, steinalten Mercedeslimousine, in die auf den Beifahrersitz zwei und hinten 6 Personen gezwängt wurden. Wobei ein Mann und eine Frau nur nebeneinander sitzen durften, wenn sie verheiratet waren.  Also saß in der Mitte ein älteres Ehepaar, wobei die Frau in der Hitze viel zu warm angezogen und verschleiert war. Ihr Mann tupfte ihr fast ununterbrochen mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht.
An der Grenze wurde ich von einem jungen Mann angesprochen, ob ich Drogen kaufen wollte. Ich bekam wieder Panik: Rückwärts, damit er mir nichts heimlich unterstecken konnte,  (so etwas hatte ich vorher gelesen) ging ich weiter, wobei er mir “Paranoia, Paranoia” nachrief. Am eigentlichen Grenzübergang zitterte ich vor Angst. Die Spanierin, die hinter mir stand, versuchte mich zu beruhigen und meinte, sie würde einmal pro Woche diese Grenze überqueren. Der große, breitschultrige, marokkanische Grenzbeamte bemerkte meine Angst auch: Er legte mir seine Hand auf die Schulter und sagte: “Welcome to Maroc.”
Zunächst  ging es nach Tetouan, wo ich ununterbrochen von Bettlern, Geldwechslern und Drogen- oder Schwesternverkäufern (“fuck me sistah”) und scheußlichen Kindern umlagert wurde, nicht selten spürte ich Hände in meinen Hosentaschen. Schließlich setzte ich mich beim Kaiserpalast gleich neben einen Polizisten und genoss die Ruhe. Von dort fuhr ich nach Fes. Dort sprach mich ein Student, der Englisch konnte, an und siehe da, sobald er an meiner Seite war, hatte der Wahnsinn ein Ende und alle ließen mich in Ruhe. Er stellte mich seiner Familie vor, zeigte mir die Stadt und brachte mich zum Bus.
Diesen Service wollte ich in Marrakesch auch haben.  So habe ich alle jungen und etwas besser gekleideten Männer unterwegs angesprochen. Und so traf ich auf Hassan, der mich für den nächsten Morgen mit meinem ganzen Gepäck in ein Cafe einbestellte. Dort erwartete er mich  zusammen mit zwei arabischen und einer mauretanischen Frau, die ihren kleinen Sohn dabei hatte.
Gemeinsam fuhren wir zu einem kleinen Dorf ungefähr drei Busstunden von Marrakesh entfernt. Dort gab just an diesem Tag ein Heiligenfestival, das nach dem heiligen Mulai Brahim benannt war. Das Dorf hatte eigentlich nur wenige Häuser, allerdings hielten sich zu dieser Zeit bestimmt 10.000 Menschen dort auf, in unzähligen Zelten, so weit das Auge reichte. In dem einzigen Hotel des Ortes erwarb ich für jeden von uns eine Matratze in einem Raum, in dem außer uns bestimmt noch zehn andere Leute schliefen. Mit der Mauretanierin kaufte ich ein ordentliches Stück eines Schafes, dass an der Straße hing und vollständig schwarz war, bis der Verkäufer die Fliegen wegjagte. Aus dem Fleisch hat sie dann Kuskus gemacht. Während des Essens haben mir alle die durchwachsensten, fettigsten, für mich ekligsten Fleischstücke hingelegt, weil die als besonders wohlschmeckend gelten. Gegessen wurde mit den Händen. Man nimmt ein bisschen Kuskus in die Hand und bewegt sie kurz, sodass ein handlicher Reisball daraus wird. Nicht so bei mir. Als mich Hassan während des Essens fragte, was wir in Deutschland so essen, sagte ich: „Schweine“.

Am nächsten Morgen ging ich mit meinen Freunden zum Fluss. Dort musste ich meine Sandalen der einen Araberin aus meiner Gruppe geben. Dann gingen wir barfuß ein Stückchen durch den Fluss, was sehr erfrischend war, dann aber aus dem Fluss heraus und den Berg hoch immer weiter,  stundenlang. Mit hunderten von Leuten, von denen die meisten auch barfuß waren, und immer wieder junge Mädchen in weißen Kleidern. Unterwegs erzählte mir Hassan, dass der heilige Brahim Jahrzehnte betend auf diesem Berg verbracht hat und sich von nichts anderem ernährte, als von einem Brot pro Woche, das ihm zwei jungfräuliche Mädchen in weißen Kleidern barfuß dort hochbrachten. Immer wenn sich Mulai Brahims Todestag jährt, gibt es dieses Festival. Meine Füße fingen an zu schmerzen. Alsbald gesellte sich ein anderer Hassan mit seinen Nichten zu uns, zwei ungefähr 14-jährigen Mädchen, natürlich in weißen Kleidern. Oben angekommen galt es eigentlich, in der kärglichen Steinhütte von Mulai Brahim zu beten und an einer Teezeremonie teilzunehmen. Dann brach aber ein Streit aus, weil ein Imam nicht erlauben wollte, dass ich als Ungläubiger in die Hütte gehe, während die meisten anderen Leute dafür plädierten, dass ich mit dem blutig Laufen der Füße mir das Recht erstritten hätte, die Hütte zu betreten. Ich habe die Zeit, in der sich alle auf den Streit konzentrierten, dazu genutzt, in die Hütte zu gehen, in der zur Feier des Tages jede Menge Kerzen angezündet waren, vor denen eine Oma kniend betete. Als ich zurückkam, hatte man sich geeinigt, dass ich zwar nicht in die Hütte dürfe, aber an der Teezeremonie teilnehmen.
Auf dem Rückweg, bei einem besonders schmerzhaften, großen Schritt nach unten, habe ich dem einen weißbekleideten Mädchen meine Hand hingehalten, damit sie sich abstützen konnte. Als ich dann nach vorne guckte, hielt mir die andere nun ihrerseits die Hand hin, die ich dann auch genommen habe. Später machte aber keiner von uns Anstalten, die Hände wieder loszulassen, und so sind wir den ganzen Weg zu Dritt Hand in Hand hinuntergegangen. Die Hassans fanden das witzig und Onkel Hassan hat mit meiner Kamera ein Foto von uns gemacht. Erst als wir, nach Stunden, wieder in dem Flüsschen standen, haben die beiden, meine Hand stark schüttelnd, „Salam Alaikhum“ sagend, wieder losgelassen.

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