Datong Februar 2006

Posted on 02/02/2006 by ansgarbaumert

Nach Luoyang, Gongyi, Kaifeng, Pingyao und Wutaishan ging es weiter nach Datong. Noch vor meiner Ankunft rief ich das Mädchen an, das in dem Zug nach Pingyao ihren Sitzplatz mit mir geteilt hatte und darauf bestanden hatte, dass ich sie anriefe, sobald ich in Datong ankommen sollte. Leider war ihr Handy ausgeschaltet.

Plötzlich bin ich mit meinen Kräften am Ende und entschließe mich, nach Hause zu fahren. Ich kaufte mir also ein Zugticket für den gleichen Abend nach Hause. Vorher wollte ich noch schnell zu den Yungang Buddha-Höhlen und möglichst auch zum Hanging Kloster, also den beiden Touristenhighlights aus dem Lonely Planet. Da das Kloster ziemlich weit außerhalb ist, leiste ich mir ein Taxi. Zuerst fahren wir zu den Buddhahöhlen. So kurz nach dem Frühlingsfest ist fast niemand da. Ich gehe zügig durch, mache meine Fotos und bin nach gut einer Stunde wieder im Auto. Der Taxifahrer fragt, warum ich nicht länger dort geblieben bin. Ich sage, dass für mich ein einfaches Dorf interessanter ist als irgendwelche Steinbuddhas. Daraufhin lädt er mich ein, mit ihm und seiner Frau in das Dorf ihrer beider Familien zu fahren. Ihr Sohn lebte dort bei den Großeltern und so hätten sie die Gelegenheit, ihn mal wieder zu sehen. In dem Preis für das Taxi wäre die Übernachtung beim Großvater und Festessen am Abend inklusive. Die Göttin der Gelegenheit hat bekanntlich vorne eine Tolle und hinten eine Glatze und man kann die Gelegenheit nur beim Schopfe greifen, wenn sie einem zugewandt ist. Also willigte ich ein und wir fuhren sogleich zum Bahnhof und ich tausche das Ticket für eines für den nächsten Tag. Dann holen wir seine Frau ab und fahren, stundenlang, in das Dorf. Da dort keiner ein Telefon hatte, kamen wir ganz überraschend an und sogleich bricht eine positive Panik aus. Jemand fegt, jemand eilt zum Einkauf und jemand beginnt mit dem Jiaozi bauen. Ich kann es vor Hunger kaum noch aushalten, als endlich der Startschuss zum Essen gegeben wird.
Spätabends werde ich dann zum Schlafen zu Opa gebracht in ein uraltes Lehmhaus. Mein Nachtlager ist direkt neben dem des Opas auf dem “Kang”, dem von unten durch den Ofen beheizten Steinbett, das in Nordostchina den halben Wohnraum einnimmt. Unversehends beginnt draußen, keine hundert Meter von unseren Haus, ein ganz unerwartetes Spektakel. In diesem gottverlassenen Dorf, jenseits von Gut und Böse, bei lausiger Kälte nachts um 11 Uhr, spielt, auf einer aufgebauten Bühne, eine ausgewachsene Pekingoper.  Das Publikum bestand aus 20 bis 30 gegen die Kälte eingemümmelten Bauern, praktisch nur Männer in Fellmützen.  Als sie mich bemerkten, überwog die Neugierde mir gegenüber dem Interesse an dem Stück und unversehens war das ganze Publikum mir zugewandt.
   Da es in solchen Dörfern oft nur öffentliche Toiletten gab, wurde mir, als Provisorium, der Misthaufen im Vorgarten des Hauses nahegelegt. Vor dem Einschlafen quälte ich mich also in die Kälte. Keine 10 Minuten später pisste mein Hausherr lautstark in einen alten Eiseneimer neben unserem Kang.

Am nächsten Tag fuhr mein Taxifahrer mit mir zu dem hängenden Tempel. Das ist so eine berühmte Touristenattraktion, dass an jeder Ecke ein Schild hängt, dass man in der Menschenschlange zügig weitergehen soll. Nur dass ich, ein paar Tage nach dem Frühlingsfest und bei minus 20 Grad ganz alleine da war.

Dann hat sich – ganz unversehens –  doch noch das Mädchen aus dem Zug gemeldet, ihr Handy wäre alle gewesen aber sie möchte sich unbedingt treffen. Also habe ich mich von dem Taxifahrer wiederum zum Bahnhof bringen lassen, wo mich meine kleinwüchsige Freundin in Empfang nahm. Sofort habe ich das Zugticket wieder um einen Tag nach hinten getauscht. Zum Schlafen ging es in ein nahe gelegenes Badehaus. Das Zimmer bestand nur aus einem Bett mit vier Wänden außen herum und die Luft war  schwül und stickig. Also habe ich ein paar Saunagänge eingeschoben und gemerkt, dass ich in dem gesamten Badebereich ganz alleine war. Es war wie ein Hotel mit einem Drei-Quadratmeter-Zimmer und einem 300-Quadratmeter Badezimmer mit drei unterschiedlich heißen und unterschiedlich feuchten Saunen.

Am nächsten Morgen sind wir zu einem erloschenen Vulkan mit einem Kloster oben drauf. Von oben sah man sehr gut den Smog über der ganzen Gegend, schließlich ist Datong die Braunkohlehauptstadt Chinas.

Nachmittags haben wir uns in einen kleinen Kiosk bequeme Nudelsuppen (Fangbianmian) und chinesische Wurst gekauft. Meine drei Reisegenossen waren ratlos, wo wir die Suppen zubereiten und essen sollten. Es kostete mich mehr Zeit, ihr Problem zu verstehen, als es zu lösen, indem ich genau das machte, was ich seit Jahren in dieser Situation immer mache: Ich ging zum Ladenbesitzer und bat ihn, die Suppe für uns zuzubereiten (man muss nur heißes Wasser draufgießen). Keine 5 Minuten später waren  wir mit dem Ladenbesitzer und seinen beiden Kinder in dessen Wohnung, saßen auf seinem Kang und er kochte uns die Suppe.

 

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