Großbritannien Schottland Oktober 1988
Posted on 01/09/1988 by ansgarbaumert
Meine erster Urlaub alleine und per Anhalter. Vorher kaufte ich mir eine gesamte Trekkingausrüstung: einen 65 l Berghaus Rucksack, ein Zelt, eine Goretex-Jacke, einen Trangia-Kocher, Wanderschuhe, Isomatte und Schlafsack.
Zunächst nimmt mich ein Bekannter meiner Schwester in seiner roten Ente bis Newcastle mit. Dann trampe ich nach Edinburgh, wo ich auf der Wiese vor der Jugendherberge zelte und einen sonnigen Tag mit zwei liebenswerten Französinnen aus der Jugendherberge verbringe. Abends schleiche ich mich zum Duschen in die Jugendherberge. In der Nacht beginnt es zu regnen, fast durchgehend für die restlichen zwei Wochen. Von Edinburgh trampe ich nach Inverness, wo ich einen Abend mit einer Gruppe obdachloser Alkoholiker verbringe. Sie schlagen mir einen Platz vor, wo ich das Zelt aufbauen kann und wecken mich am nächsten morgen kurz vor einem furchtbaren Unwetter. Dann gehts weiter nach Ullapool. Bei einer Trekkingtour in den Highlands wache ich morgens im strömenden Regen auf, gucke aus dem Zelt und sehe am Horizont ein helles Stück Himmel. Ich warte, bis es bei mir angekommen ist und gehe dann im Trockenen auf den Berg. Aber als ich wieder runtergehe, schüttet es von Neuem. Wenn ich von Autos mitgenommen werde, und die Fahrer fragen mich, wo ich aussteigen will, gucke ich durch den Regen und sage: “Da, unter dem hellen Stück Himmel.” Einmal läuft mein Rucksack voll Wasser, so dass ich wirklich eine Nacht in einer Jugendherberge verbringen muss. Für ein paar Stunden wandere ich zusammen mit einer Gruppe englischer Pfadfinder, als ich mit einem Bein, fast bis in den Schritt, im Moor versinke. Die mussten mich zu Dritt rausziehen. Dann wandere ich zwei Tage mit zwei Frauen, wir zelten direkt am Meer auf einem Pflanzenteppich, wo die Heringe nicht so gut halten. Nachts werde ich vom Sturm erfasst und das Zelt kollabiert. Etliche Heringe gehen verloren. Als ich von Ullapool weiter trampe, passiert etwas, das mir später im ganzen Leben nicht mehr passiert ist: Zwei Autos halten gleichzeitig an, um mich mitzunehmen. Ich steige zu einem älteren Ehepaar in ein Campingmobil – ich wollte eigentlich zur Isle of Skye – die nehmen mich mit auf die Isle of Lewis, auf die äußeren Hebriden. Ich erinnere sie an ihren Sohn, der in London studiert und darf in Stornoway in dessen Zimmer schlafen, mit Abendessen im Familienkreis. Ich bin so aufgeregt, in einem Bett zu liegen, dass ich fast die ganze Nacht nicht schlafen kann. Dann gehts weiter zur Isle of Lewis, wo ich zwei Nächte in einer verdreckten Schäferhütte schlafe, mein Zelt ist einfach zu nass und die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass es auch nicht trocknet. Ich treffe auf eine Reisebus-Reisegruppe mit Senioren aus Frankfurt, wir freunden uns an und sie nehmen mich in dem Bus mit auf eine Inselrundfahrt, auf der es für eine Weile regenfrei ist und sogar die Sonne mal rauskommt. Am nächsten Morgen kommen sie mit ihrem Reisebus extra zu meiner Hütte und holen mich ab zu einer Messe in einer anglikanischen Kirche. Sie halten mir das Gesangbuch vor die Nase und ich denke: “Jetzt ist es auch egal.” und singe mit. Dann trennen wir uns, ich setze über zur Isle of Skye, wo ich mit einem 65-jährigen englischen Botaniker den Ben Nevis besteige, während er mir ununterbrochen die Tiere und Pflanzen am Wegesrand erläutert. Anschließend habe ich ein Tief, stehe seit einer Unendlichkeit im Regen an einer Straße und könnte heulen, als plötzlich ganz unerwartet ausgerechnet der Reisebus aus Frankfurt anhält. Ich bin erschrocken, normalerweise halten Reisebusse nicht für Tramper, erst als der Fahrer herausspringt erkenne ich ihn, er greift meinen Rucksack und schreit: “Los rein!”, weil er dort eigentlich nicht halten darf. In dem Bus klatschen alle Frankfurter Senioren einen überschwänglichen Applaus und ich breche in Tränen aus. Gleich macht man mir meinen Stammplatz von der Isle-of-Harris-Rundfahrt frei und, noch während ich mich hinsetze, schlafe ich erschöpft ein. Sie wecken mich in Glasgow. Der Reiseleiter, ein Engländer mit einem ungefähr 30 cm langen Vollbart, nimmt mich unter seine Fittiche. Ich hatte seit etlichen Tagen nicht geduscht und praktisch nichts gegessen und darf zunächst in seinem Hotelzimmer duschen. Dann lädt er mich zum Essen ein und schließlich trinkt er mit mir etliche unterschiedliche englische Biere, Newcastle Brown Ale und so, und einmal die ganze Whiskey-Karte runter: “Probier mal den, der schmeckt ganz rauchig.” Danach bin ich nicht mehr in der Lage, mein Zelt aufzubauen und schlafe, da es auf einmal nicht mehr regnet und der Himmel so klar ist, dass man sogar ein paar Sterne sehen kann, neben dem Reisebus im Freien, den Rucksack binde ich mir ans Bein. Ein paar Stunden später wache ich auf, weil es in Strömen schüttet. Ich bin aber immer noch nicht in der Lage, mein Zelt aufzubauen, also lege ich mich unter den Reisebus. Am nächsten Tag regnet es immer noch, ich bin total durchgeweicht und habe alle Anzeichen einen kommenden schweren Erkältung. Ich werde von einem Polizisten geweckt, der sagt, ich hätte doch nebenan im Gefängnis schlafen können, er ließe Rucksackreisende für lau in den Zellen schlafen und die Türen natürlich offen. Die Frankfurter Senioren holen mich ab, legen mir eine Decke um die Schultern und die vom Hotel laden mich zum Frühstück ein. Sie sagen, ich hätte doch im Hotel im Flur auf dem Teppich schlafen können. Ich bin gerührt. Alle sind so lieb!
Auf dem Rückweg bin ich einen Tag bei dem Bekannten meiner Schwester in Newcastle, der dort eine Geigenbauerlehre macht und sein Meister lässt mich den ganzen Nachmittag an einem groben Holzklotz herumschnitzen, aus dem später eine Geige werden sollte. Und abends darf ich die Werkstatt ausfegen. Ich werde aber zusehends krank.
Zum Schluss stehe ich mitten in der Nacht 20 km von meinem Elternhaus mit Fieber und starkem Husten für zwei Stunden im strömenden Regen in einem Dorf, wo alle halbe Stunde mal ein Auto vorbeikommt und bin zu stolz, zuhause anzurufen und mich abholen zu lassen. Schließlich kommt ein Mädchen in einem Käfer und nimmt mich mit. Sie fährt ausgerechnet zu dem Restaurant, in dem ich damals jedes Wochenende gejobbt habe. Ich bin mit ihr rein, habe mir ein Bier vom Tablett meines Kollegen genommen, es ausgetrunken und bin nach Hause gegangen.
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