Frühlingsfest in der Provinz Guizhou Februar 2005

Posted on 14/02/2005 by stsadmin

Im Jahre 2005 war ich zum Frühlingsfest in der Provinz Guizhou. In der Hauptstadt Guiyang herrschte großes Gedränge. Guizhou ist eine der ärmsten, chinesischen Provinzen, also kommen sehr viele Wanderarbeiter von dort. Und die kommen alle zum Frühlingsfest nach Hause. Ich erkundigte mich nach irgendeinem kleinen, unbedeutenden Dorf in der Nähe und wurde zu einem sogenannten Toastbrot-Bus, einem dieser kleinen, ärmlichen 9-sitzer, gewiesen, der als öffentliches Verkehrsmittel diente. Ich war der einzige Passagier. Auf der Fahrt wurden meine Füße so kalt, dass ich Angst vor bleibenden Schäden bekam. Als ich dem Fahrer erklärte, dass ich in dem Dorf mit einer Familie das Frühlingsfest feiern wollte, erklärte er das für unmöglich und lud mich stattdessen zu seiner Familie nach Guiyang ein. Wir verblieben so, dass er eine halbe Stunde in dem Dorf warten würde, bevor er zurückfuhr. Wenn ich bis dann niemanden gefunden hätte, würde ich wieder mit ihm zurückfahren.
In dem Dorf fragte ich den ersten besten Mann, den ich sah und er war einverstanden. Er führte mich in ein etwas schäbiges Holzhaus, im Erdgeschoss ist die Küche, da würde meine Mutter beide Hände über ihrem Kopf zusammenschlagen. Trepphoch ging es in das saukalte Wohnzimmer. In dem Tisch ist ein Loch von ungefähr 50 cm Durchmesser, darin steht ein Metallbehälter mit ein paar traurig vor sich hinglühenden Kohlen. Das Sofa ist total durchgesessen, überall kommen die Federn raus, es liegt eine Decke drauf. Der Boden und die Wände des Hauses waren aus grobem Holz gezimmert, an den Wänden klebten hier und da alte kitschige Plakate. Für eine Weile sitze ich da ganz alleine, während die Tochter ihr Zimmer für mich räumt. Ich ziehe mir die Schuhe aus und halte meine blaugefrorenen Füße über die glühenden Kohlen. 
In der Familie gibt es drei Kinder, zwei Mädchen, 14 und 12 und ein kleiner Junge von vielleicht 3. Die Kinder machen mit mir einen Spaziergang durch das Dorf. Wir sehen eine Frau, die zum Frühlingsfest für ihren verstorbenen Mann am Straßenrand eine rituelle Handlung vornimmt. Sie bringt ihm Essen in einer Schüssel, ein gekochtes Huhn, ein Stück Schweinespeck, ein paar Gläser Baijouschnaps und Räucherstäbchen – Ahnenkult.

Um kurz vor 5 sitze ich wieder in dem Wohnzimmer und friere. Plötzlich bringt der Mann zu meiner großen Freude einen 15 Liter Metalleimer bis oben randvoll mit brennenden Kohlen und stellt ihn unter das Loch im Tisch. Nur Minuten später ist Kälte kein Thema mehr. Oben drauf kommt ein Topf mit Brühe für die Hühnersuppe, in der noch ein kleiner Metalltopf mit geriebenem Chili steht. Außen herum stehen die anderen mehr oder weniger leckeren Sachen: Schinken, Tofu, das so aussieht wie Graubrot, Erdnüsse, Salat. Schließlich sitzt die ganze Familie um den Tisch. In einem Teepot aus Metall ist selbstgemachter Schnaps. Das älteste Mädchen gießt einen Porzellanbecher halb voll und hält ihn mir auf etwas eigenartige Weise hin, ich will ihn mir dankend nehmen, da schreckt sie zurück und guckt hilflos ihren Vater an, der versucht, mir etwas zu erklären. Es stellt sich heraus, dass es dort gastfreundlich ist, wenn einem Gast alle (!) Kinder des Hauses, einen Schnaps direkt in den Mund schütten.  Während des Essens wurden alle Essensreste und aller Abfall einfach auf den Boden geworfen, dazu kam noch, dass der Hausherr allenthalben herzhaft spuckte. Dann ist die Hausfrau immer mal wieder mit dem Besen drübergegangen. Nach dem Essen sind wir zu der Familie des Bruders gegangen und haben da noch einmal gegessen und getrunken. Dort hing über dem Tisch Fleisch, das von dem Rauch des Feuers geräuchert wird. Um 12 haben wir ein paar kleine Raketen aus dem Fenster abgefeuert und Zuckerrohr gegessen.

In meinem Zimmer war es bitterkalt. Nach dem Thermometer in meinem Reisewecker zwei Grad Celsius. Und die Bettdecke war ein Witz. Also schlief ich voll angezogen mit Mantel und Mütze.

Am nächsten Morgen gab es zum Frühstück wieder genau das gleiche Essen wie abends. Der Hausherr war ganz von den Socken, als ich mich weigerte, das Frühstück mit Schnaps runterzuspülen. Dann bekamen die Kinder neue Klamotten, jedes Kind wird nämlich zum Frühlingsfest neu eingekleidet. Nach dem Frühstück ging es auf den Dorfplatz, wo ein bisschen Feuerwerk abgebrannt wurde und es gab eine kleine Lärmkapelle, um die Geister auszutreiben: Männer, die Töpfe und Pfannen aneinanderschlugen. Dann ging es von Haus zu Haus und in jedem gab es Essen, Schnaps und Zigaretten. Es gab jeweils einen Raum, Tisch für die Frauen und einen für die Männer. Alle paar Minuten bekommt man eine Zigarette in die Hand gedrückt. Selbst wenn man gerade am Rauchen ist, muss man sie nehmen. Die meisten stecken sie sich dann hinters Ohr, und dann hinters andere und dann in irgendwelche Taschen oder legt sie vor sich auf den Tisch. Ich habe zwischendurch auch hin und wieder eine Schachtel gekauft und an alle verteilt.

Irgendwann nach dem Mittagessen wusste ich schon nicht mehr, wo mir der Kopf stand und dachte mir, am Frauentisch bekomme ich vielleicht nicht so viel Schnaps aufgenötigt. Dort ging es aber genauso lustig zu, wie bei den Männern, sie tranken, was das Zeug hielt. Ich wurde mit großem Hallo begrüßt, und sogleich stand da eine ganze Schlange von Frauen, die mir jeweils einen Schnaps in den Mund schütteten. Das nächste, woran ich mich erinnern kann ist, dass ich wieder bei den Männern saß, den Kopf hinten an die Holzwand gelehnt. Man hatte mich geweckt, weil man weiterziehen wollte. Ich war allerdings nicht in der Lage und wurde zurückgelassen. Ein kleiner Jungen leistete mir Gesellschaft. Der brachte mich schließlich auch nach Hause, wobei wir einen steilen Abhang hinuntermussten. Um 17 Uhr war ich im Bett. Nachts fand ich einen Becher mit Tee, als ich trinken wollte, stellte sich heraus, dass der gefroren war. Nächstentags bin ich zunächst mit demselben Fahrer zurückgefahren, der mich schon hingebracht hatte. Aber dann verreckte der Bus und ich musste per Anhalter weiter.

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